Von der Vergangenheit eingeholt - Katja Thimm liest aus ihrem Buch „Vatertage – Eine deutsche Geschichte“
Es ist eine sehr intensive Verknüpfung von Lebens-, Leidens- und Zeitgeschichte: Katja Thimm liest am 08. März 2012 um 20:00 Uhr im Kapitelsaal der Burg Lüdinghausen aus ihrem Buch „Vatertage – Eine deutsche Geschichte“. Damit spricht sie Literaturfreunde, aber insbesondere auch alle von Demenz betroffenen Familien an.
Die 1969 geborene Autorin, die sich als Reporterin beim Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL einen Namen gemacht hat, erzählt von ihrer wohlbehüteten Kindheit in der Bonner Republik der 1970-er Jahre. Der Vater ist ein hoher Beamter im Gesundheitsministerium; doch manchmal und ganz unvermittelt zeigt die Normalität des Familienlebens Risse. Thimm beginnt zu ahnen, dass plötzliche Stimmungsumschwünge oder eine leidenschaftlich-qualvolle Ordnungsliebe, dass Anspannung und Strenge des Vaters ihren Ursprung in traumatischen Kindheits- und Jugenderfahrungen haben. Ihm, dem mit eiserner Disziplin alles gelingt, entgleiten die Dinge im Alter zunehmend. Er kann den Badwannenstöpsel nicht ergreifen und verbringt eine ganze Nacht in der Badewanne. Dann schließt er sich im Winter bei Minustemperaturen im Schlafanzug aus der Wohnung aus. Im Verlauf seiner demenziellen Erkrankung wird er zunehmend von den Gespenstern der Vergangenheit heimgesucht. Da werden die Pflegekräfte zu Feinden, die Kinder müssen vor Bombenhagel geschützt werden.
Katja Thimm beschreibt in „Vatertage“ eindrücklich die Kriegserfahrungen des Vaters, der als Kind den Wagen auf der Flucht vor der Roten Armee über die gefrorene Nehrung lenkt – immer unter Beschuss von Tieffliegern und Artillerie, so dass Tod und qualvolles Sterben allgegenwärtig sind. Später, als junger Mann, gerät er in die Fänge der DDR-Behörden und verbüßt sechs Jahre Haft in einem Zuchthaus. Thimms Buch bricht das Schweigen der Generation der sogenannten Kriegskinder. Es ist ein Porträt der Verbundenheit zweier Generationen und veranschaulicht, dass Gesellschaftliches und Privates untrennbar miteinander verbunden sind. Selbst in der nächsten Generation, aber insbesondere auch im Alter der Betroffenen wirkt dies nach, wenn Verdrängung nicht länger gelingt. Dabei richtet die Autorin den Fokus auch auf die Krankheit Demenz und damit einhergehende Verhaltensänderungen, die aus der Biografie der Betroffenen heraus für Angehörige verstehbar werden.
Veranstalter der Lesung sind die Familienbildungsstätte Lüdinghausen (Mühlenstr. 29, Tel: 02591 / 98909-0), die Alzheimergesellschaft im Kreis Coesfeld. e.V. (Am Schlossgarten 10, Dülmen, Tel: 02594 / 9201) und die Pflegeberatung für den Kreis Coesfeld (Kreishaus II, Schützenwall 18, Coesfeld, Tel: 02541 / 18-5520). Eintrittskarten können während der regulären Öffnungszeiten zum Preis von 5,- EURO bei den jeweiligen Stellen erworben werden.